Herr Ü., 42 Jahre alt, hatte schon mehrere Magengeschwüre hinter sich. Auch die Behandlung des Bakterium Helicobacter pylori hatte nichts geholfen. Immer wieder kam dieser bohrende Schmerz in der Mitte seiner Magengegend. Es fühlte sich an, wie ein kleines, eifriges Männchen im Blaumann mit seiner Bohrmaschine. Es bohrte und bohrte, mal mit und mal ohne Schlagbohrhammer, immer an der gleichen Stelle ein Loch in seinen Magen. Das Männchen hatte eine unsagbare Penetranz. Wenn es ganz gemein war, hatte es sich auch nicht mit einem Loch zufrieden gegeben und setzte noch ein oder zwei weitere in unmittelbare Nähe. Anschließend drehte er Schrauben in die Löcher. Das hatte noch mal einen ganz anderen Schmerzcharakter. Er machte dies meistens nach dem Essen. Er hatte das Männchen im Blaumann noch nie zu Gesicht bekommen, aber er spürte und fühlte es, jedes mal, wenn es wieder da war.
Das Männchen setzte die Bohrmaschine meistens zu Zeiten an, in denen viel Stress herrschte. Und Herr Ü. hatte häufig Stress. Sein Leben war aufregend, hastig und schnelllebig. Er war für eine bestimmte Nachrichtensendung beim Fernsehen zuständig, die täglich zur gleichen Uhrzeit gesendet wurde. Sein Job war immer Terminsache. Es musste Punktum sendefertig sein. Da gab es kein: „Ich bin nicht fertig geworden“. Man wurde fertig, egal was es kostete. Das war Stress pur. Aber auch unsagbar aufregend. Er berichtete über alle Themen, Ereignisse und Schlagzeilen, die auf dieser Welt sich ereigneten. Er kam mit den unterschiedlichsten und interessantesten Menschen zusammen und durfte sie interviewen. Um keinen Preis der Welt hätte er das missen wollen.
Dementsprechend ging auch der Rest seines Lebens im Minutentakt. Zum Essen hatte er fast nie Zeit. Das musste schnell, schnell, zwischendurch gehen. Pizza, Brötchen oder Döner auf die Hand, rein und weiter. Damit er die Geschwindigkeit seines Lebens ertragen konnte, brauchte er abends etwas zum runterkommen. Das fand er im Alkohol. Er war kein Alkoholiker, aber es war schon mal öfters ein Glas zuviel. Tags hatte er andere Krücken. Er rauchte wie ein Schlot und trank einen Kaffee nach dem anderen. Außerdem reagierte er sich beim Autofahren ab. Er fuhr wie eine gesenkte Sau. Hier ließ er Frust und Spannung ab. Er beschimpfte, laut, pöbelnd all seine Mitbestreiter auf der Straße. Zum Glück konnte ihn dabei niemand hören. Denn hier war seine Wortwahl in keinster Weise öffentlichkeitsreif. Seine Insel von Harmonie und Geborgenheit war seine Frau. Sie hatte für alles Verständnis. Er liebte sie über alles.
Seine Bereitschaft, etwas an seinem Lebensstiel zu ändern, war gering. Denn bisher hatte er sich mit Magentabletten (Pantoprazol) so durchgemogelt. Das änderte sich nach einem ziemlich einschneidenden Ereignis: Er glaubte, er träumte. Es war alles so hell und weiß um ihn herum, leicht verschwommen. Mehrere Personen in grüner Kleidung umgaben ihn, sie redeten und hantierten. Sie schienen wichtig zu sein. In der Ferne, verzerrt, sah er seine Frau. In ihrem Gesicht stand Angst, Leid und Sorge. Doch was stach ihn da auf einmal in den Arm, es schmerzte. Er riss die Augen auf, wollte um sich schlagen. Es war kein Traum. Jemand hatte zum Blutabnehmen ihm eine Nadel in den Arm gestochen. Erst jetzt realisierte er, er war auf der Intensivstation. Gefangen an Schläuchen, Geräten und Infusionsflaschen. Blutkonserven hingen über ihm. An seinem Bett hing ein Urinbeutel. Der Zufuhrschlauch führte unter seine Bettdecke. Erst jetzt merkte er den unangenehmen Druck in seiner Harnröhre. Im Nachhinein erfuhr er, dass er zu Hause kollabiert war. Bewusstlos sei er mit dem RTW ins Krankenhaus gefahren worden. Er hatte eine massive, lebensbedrohliche Blutung aus einem Magengeschwür gehabt. Die Blutung konnte zum Glück gestoppt werden.
Dieser Gesichtsausdruck seiner Frau, voller Leid, Angst und Sorge, verfolgte ihn. Nun war er bereit, etwas zu ändern. Er brauchte aber jemanden, der ihm dabei half, ihn leiten konnte, ohne ihm die Pistole auf die Brust zu setzten. Einen Psycho-Quacksalber lehnte er ab. Über eine Reportage hatte er schon mal mit der TCM was zu tun gehabt, sie schien ihm dafür geeignet.
Er war ein Patient, der sehr ernsthaft mitarbeitete. Da der Zeitplan von Herrn Ü. weiterhin sehr knapp blieb, kam er nur einmal in der Woche zur Akupunktur. Aber diese Stunde genoss er. Es war seine Stunde, sein Eigentum, kein Telefon, kein Handy, kein Fax, keine E-Mail, niemand stürmte ins Zimmer und wollte irgendetwas von ihm. Danach hatte er so ein relaxtes Gefühl. An diesen Tagen schnaubte er selbst beim Autofahren nicht. Er trank auch regelmäßig, die etwas merkwürdig schmeckenden, Heilkräuter. Sie taten ihm gut. Sie vermittelten ihm ein angenehmes Gefühl in der Magengegend. Außerdem fühlte er sich nicht mehr so gehetzt und damit weniger gestresst. Sein Job war und blieb natürlich immer noch stressig. Ihn wollte er auch nicht aufgeben. Aber er setzte bei seinem Chef eine zusätzliche Stelle durch. Der neue Mitarbeiter war nur für ihn da. Er arbeitet ihm zu und entlastet ihn dadurch enorm. Früher hätte er mit der gewonnenen Zeit neue aufregende Aufgaben an Land gezogen. Jetzt verwendete er sie dazu, die Meditation zu erlernen und zu üben.
Auch bei der Ernährung änderte er einiges. Wir sprachen die Grundzüge einer guten Ernährung und die einzelnen Mahlzeiten durch. Nicht immer klappte alles, aber im Großen und Ganzen schon. Und darauf kam es an. Das Rauchen tasteten wir nicht an, aber Alkohol und Kaffee schon. Das fiel ihm leichter. Sein Magen machte unter der Behandlung, dem geänderten Essen und Trinken, sowie der veränderten Lebensführung regelrechte Freudensprünge. So schaffte er es, dem Männchen im Blaumann mit der Bohrmaschine lebenslanges Hausverbot zu erteilen.
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